Eine neue „Lex Roma“? – Ein Tag wider die Diskriminierung von Asylsuchenden
Ein dichtes Programm stand am 7. Juni in Leipzig bevor. Anstatt das derzeit dringliche Thema der verschärften Abschottung der EU und Deutschlands gegen Flüchtlinge aus den Teilstaaten des ehemaligen Jugoslawiens hinter den Türen des Europaparlaments in Brüssel zu erörtern, wollten wir vor Ort mit Betroffenen dieser Politik und deren UnterstützerInnen ins Gespräch kommen.
Die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst wurde dabei von Karin Waringo von der Menschenrechtsorganisation Chachipe e.V. und Andreas Naumann, u.a. Mitglied im Ausländerbeirat der Stadt Dresden, begleitet.
In der Unterkunft für Asylsuchende in Leipzig-Grünau kamen wir ins Gespräch mit aus Mazedonien und dem Kosovo Geflüchteten. Die Fluchtgeschichten der drei Familien ähnelten sich: Gewalt, Bedrohung und der mangelnde Zugang zur grundlegenden Rechten – Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheitsversorgung – waren die Beweggründe ihre Länder zu verlassen. Und: es handelt sich vor allem um Roma. Hinzu da kommt ein massiver Rassismus, der sich auch gewaltsam entlädt.
Doch all dies führte nicht etwa dazu, dass diesen Menschen der Schutz gewährt wird, der sich aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ergibt – im Gegenteil wird seitens des Bundesinnenministers Friedrich derzeit massiv Stimmung gegen vermeintliche „Wirtschaftsflüchtlinge“, die in Deutschland „Asylmissbrauch“ betreiben würden, gemacht. Das 1993 per Grundgesetzänderung demontierte Grundrecht auf Asyl soll, wenn es nach der Bundesregierung geht, für Asylsuchende aus Mazedonien und Serbien noch weiter eingeschränkt werden. Auf EU-Ebene setzt sich die BRD für das Aussetzen der Visafreiheit für diese beiden Staaten ein. Die seit 2010 geltende Visa- und damit Reisefreiheit ist einerseits eine wichtige Errungenschaft im Sinne der Öffnung und Freizügigkeit, andererseits war sie unter anderem mit der Verpflichtung zur Rücknahme von StaatsbürgerInnen und Drittstaatenangehörigen verbunden. Dies bedeutete nichts anderes als die Abschiebung zahlreicher Menschen, die in den (Bürger)Kriegs-Wirren u.a. geflüchtet waren und weit über ein Jahrzehnt in Deutschland leben. Im Zuge der aktuellen Debatte um das Aussetzen der Visafreiheit, steigt der Druck auf mazedonische und serbische StaatsbürgerInnen, die die Reisefreiheit in Anspruch nehmen wollen. Schließlich wollen Mazedonien und Serbien sich den in Aussicht gestellten EU-Beitritt nicht vermiesen. Es ist gängige Praxis, dass ausreisende Roma mittels „ethnic profiling“ per se als „falsche Asylantragssteller“ gekennzeichnet werden und dass von Ausreisewilligen an der Grenze ausreichend Geld und Rückreisetickets verlangt werden. Mittlerweile häufen sich Fälle, in denen abgeschobenen StaatsbürgerInnen die Pässe abgenommen werden, um die Wiederausreise zu verhindern. Eine klar rechtswidrige Praxis, die auch im Fall der Abschiebung von Shengjul und Chala Demova von Borna nach Mazedonien angewandt wird. Um solch einen Fall drehte sich der zweite Termin an diesem Tag.
Im Gespräch mit dem Verein Bon Courage e.V. wurden mögliche Unterstützungsschritte besprochen, um die Ende Mai vollzogene Abschiebung der schwangeren Frau und ihrer elfjährigen Tochter nach Mazedonien, anzufechten und rückgängig zu machen. Shengjul Demova lebte bereits drei Jahre in Deutschland und war verlobt. In Mazedonien hat sie lebensbedrohliche Gewalt zu erwarten. Mittlerweile sind alle Hebel in Bewegung gesetzt um eine baldige Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen.*
Mit einer Reihe von Interessierten diskutierten Conny Ernst und Karin Waringo zum Abschluss des Tages zudem über die Situation von Roma in Serbien, Mazedonien und in der EU und über konkrete politische Möglichkeiten, diese zu verbessern. Es müssen für Roma endlich menschenwürdige Lebensbedingungen hergestellt werden, die mit einer Bekämpfung von rassistischen Denkweisen einhergehen müssen, egal ob in EU-Mitglieds- oder Anwärterinnenstaaten, so das Fazit. Andererseits muss Schutzsuchenden, insbesondere Angehörigen der am stärksten diskriminierten Minderheit Europas, Schutz gewährt werden. Den vielen Worten und beschriebenen Papier müssen Taten folgen und Nicht-Handeln sanktioniert werden!
*Unterstützung durch Protestbriefe, Postkarten und Spenden ist erwünscht: http://boncourage.de
Jule Nagel, erschienen in Sachsens Linke Juli 2013