Des Friedrichs Lügen
Ich ärgere mich immer wieder, dass Minister wegen erlogener Doktorarbeiten aus dem Amt fliegen, aber nicht wegen ihrer täglichen Lügen. Dabei wäre Bundesinnenminister Friedrich einer, der wegen der Behauptung, aus Serbien oder Mazedonien stammende Roma kämen des „Asylmissbrauchs“ wegen nach Deutschland, aus dem Amt gejagt werden müsste.
Sein Argument, in diesen Ländern sind Roma „sicher“, daher müssten Serbien und Mazedonien „ihre Staatsbürger“ abhalten, in die EU auszureisen, sonst entzöge man ihnen die Visafreiheit, lässt jeden Nazi neidisch werden. Als ich am 09.11. für 3 Tage in Serbien war, konfrontieren mich die Behörden damit, dass sie sich erpresst fühlen. Die Androhung von EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Schweden und Österreich, die Visafreiheit zu entziehen, wenn weiterhin Roma in die EU strömen, hat dazu geführt, dass an den serbischen Grenzen absonderlichste Praktiken eingeführt wurden. Da Roma als Minderheit in Serbien nicht anerkannt und im Pass nicht als Ethnie vermerkt sind, schauen serbische Grenzbeamte, wer Romas ähnlich sieht. Wenn „verdächtige“ Familien die Grenze überschreiten wollen, werden sie zurückgeschickt mit dem Argument des Kindeswohles. Bei Einzelpersonen wird gefragt, wohin sie wollen, ob sie eine amtliche Genehmigung haben, ob sie für jeden Tag des EU-Aufenthaltes 50 Euro pro Person aufbringen können, ob sie eine Krankenversicherung und eine Wohnung im Ankunftsort besitzen.
Obwohl serbische Roma wie alle anderen in Serbien lebenden Bürger das verbriefte Recht haben, seit der Visaliberalisierung ungehindert in die EU zu reisen, gibt es die Lex Roma. Das verstößt gegen EU-Recht, die mit Serbien geschlossenen Verträge und das Diskriminierungsverbot. Dennoch ist Bundesinnenminister Friedrich Einpeitscher solcher Lösungen. Er verwies auf die steigenden Asylbewerberzahlen in Deutschland aus den genannten Ländern. Im September 2012 kamen 1395 Roma aus Serbien und 1040 aus Mazedonien – eine Zahl, die kaum von massenhafter Zuwanderung zeugt. Friedrichs These vom Asylmissbrauch fiel auf fruchtbaren Boden, den der NPD, die in Sachsen eine Woche ausrief, in der sie Asylbewerberheime mit ihrer braunen Ausländer-raus-Soße begießen durfte.
Was ist nun mit dem „Asylmissbrauch“? Ich habe in Belgrad ein Roma-Lager besucht. Es war mitten in der Stadt. Das Lager bestand aus Holzkaten, spärlich mit Pappe bedeckt, ohne Wasser und Strom, ohne soziale Unterstützung. Die Hütten stehen auf einer Müllhalde. Die dort lebende Familie, Flüchtlinge aus Mazedonien, die Frau hochschwanger, lebt von Abfällen. Das Lager wird bewacht von einem Beamten, der uns verbietet mit den Bewohnern zu sprechen
Solche „wilden Lager“, wie sie in Serbien genannt werden, sind überall entstanden, weil Roma aus ihren Wohnungen vertrieben wurden oder als Flüchtlinge nach Serbien kamen. Mit Bulldozern hat die serbische Regierung dann begonnen zu räumen, ohne Ersatz. Daraufhin hat die EU interveniert und Mittel bereitgestellt, um Häuser zu bauen. Entstanden sind Container außerhalb Belgrads. Eine solche Containersiedlung besuchten wir mitten in der Prärie, ohne Infrastruktur, abgestellt auf einem Feld. Die Container sehen freilich besser aus als die Lager in der Stadt. So wunderten wir uns, dass nahezu alle Roma von zurück in die Stadt wollen. Gründe sind, dass sie abseits der Stadt keinerlei Lebensgrundlage haben. In Belgrad gab es kleinere Arbeiten und das Besorgen von Nahrung aus den Mülleimern gewährte ihnen, wenigstens nicht zu verhungern. Ich wusste von meinen Begleitern, dass in der Stadt nicht wenige Leute, Essensreste draußen ablegen, wohl wissend, dass diese nachts geholt werden. Mitten in unser Gespräch platzte ein Mann herein und rief: „Schnell raus hier, der Spitzel kommt“. Von den Behörden werden Spitzel gekauft damit sie Leute im Lager melden, die „verbotene Dinge“ tun. Mit uns zu reden sei verboten, erzählte er. Alle hätten Angst, gemeldet und aus den Containern vertrieben zu werden.
Zukunftschancen hat in den Lagern, egal ob serbische Roma oder Roma aus anderen Ländern Ex-Jugoslawiens, niemand. Nach Deutschland gehen, um wenigstens den Winter zu überstehen – Ist das Asylmissbrauch? Der Kern von Asylbegehren ist es, menschenunwürdigen Lebensbedingungen, die die Existenz des Einzelnen bedrohen, zu entgehen. Gründe dafür sind politische Verfolgung oder existentielle Bedrohung. Letzteres können Roma auf dem Westbalkan für sich reklamieren. Statt wegzuschauen, sollte für den Beitritt dieser Länder in die EU, die Roma-Frage eine zentrale sein. Dafür brauchen sie aber Unterstützung, statt die Aufforderung zum Bruch von EU-Recht, bevor sie Mitglieder der EU sind.
von Dr. Cornelia Ernst, erschienen in Sachsens Linke und DIE LINKE Dresden, Dezember 2012